So drei Tage Entspannung hinter uns. Und schon folgt die Strafe auf den Fuß: der erste richtig lange Fahrtag steht an. Am Ende des Tages werden wir acht Stunden unterwegs gewesen sein und 525km hinter uns gebracht haben. Für den deutschen Autofahrerkopf klingen diese Zahlen nach einer Tortur von Staus auf der A7, schafft man es in acht Stunden doch normalerweise deutlich weiter. In Norwegen gehen, was das Autofahren betrifft, die Uhren aber ein wenig anders. Und das hat vor allem drei Gründe:
- In Norwegen ist auf Landstraßen grundsätzlich 80km/h die Spitzengeschwindigkeit. Selbst die „Hauptautobahn“ die komplett von Norden nach Süden durch das ganze Land führt, erlaubt meistens maximal 80km/h. Es gibt Ausnahmen an denen 90km/h oder, Achtung Geschwindigkeitsrausch, 110km/h erlaubt sind. Leider muss ich sagen, dass man auf den meisten Strecken entspannt 100km/h fahren kann. Was ich dann auch tue. Unclever, weil die Blitzerpreise es in sich haben, aber ich habe mich nicht erwischen lassen. Die Norweger sind so freundlich und kündigen stationäre Blitzer sehr offensiv an.
- Die Straßenverhältnisse. Wer Norwegen auf der Karte betrachtet, dem fallen sofort die Fjorde, die Wälder und Berge ins Auge. Was für den Wanderer, Fischer, Jäger und grundsätzlich auch den Touristen eine Freude ist, kann den Autofahrer bei langen Strecken etwas unglücklich machen. Es ist einfach anstrengend, sich dauerhaft irgendwo langschlängeln oder an entgegenkommenden Wohnmobilen vorbeischlängeln zu müssen.
- Die Norweger sind im Auto einfach nur Ballast. Es tut mir leid, wenn ich das so sagen muss, aber jetzt bin ich schon in einigen Ländern im Auto gesessen und könnte es vermutlich bei Bedarf sogar empirisch belegen. Alles, was der Norweger im Auto tut, tut er unendlich langsam. Und ich meine nicht (nur) vorsichtig langsam, sondern elendig langsam. Wenn bei uns ein einfacher Abbiegevorgang mit Blinker setzen, runterbremsen und rumziehen beendet ist, bremst der Norweger etwa einen Kilometer vor seiner Abzweigung runter und rollt die letzten 800 Meter, setzt den Blinker aber vorsichtshalber trotzdem erst zehn Meter vor seiner Abzweigung. Beim konkreten Abbiegevorgang möchte man aussteigen, neben dem Auto hergehen und besorgt fragen, ob man beim Lenken helfen kann.
Überholt man einen Norweger, so bremst er stark ab. Die ersten Male hatte ich dadurch einen halben Herzinfarkt, wenn neben einem das Auto auf einmal vorne die Schnauze senkt und die Bremslichter panisch strahlen. Man gewöhnt sich dann aber irgendwann daran.
Alles in allem machen die 80 km/h dann doch irgendwie Sinn…
Der Weg nach Trondheim ist also von der langen Fahrt dominiert, wird aber angenehmerweise von einem (erfolgreichen) Shoppingabstecher in Dale, einem Wasserfall, tollen Aussichtspunkten und dem 24km (!!!!) langen Lærdalstunnel unterbrochen. Ok, dass mit den 24km kann ich nicht einfach nur so hinklatschen. Also es gibt unglaublich viele Tunnel in Norwegen, macht auch Sinn. Fjorde, Berge, wie gesagt. Aber diese Tunnel sind zum Teil wirklich unfassbar beeindruckend aufgrund ihrer Länge, ihrer Kreisverkehre, der „Pausezonen“ oder einfach der Architektur.
In Trondheim steht nun städtisches Sightseeing auf dem Plan. Die Stadt ist wirklich niedlich und im richtigen Licht vor allem am Wasser teilweise schon fast kitschig. Aber man möge mir verzeihen, Sehenswürdigkeiten gibt es dann doch nicht so sehr viele. Dennoch hinterlässt die Stadt einen so bleibenden Eindruck bei uns, dass wir (Spoileralert!) auf dem Rückweg noch einmal stoppen.
Die Weiterfahrt höher in den Norden auf die Insel Senja gestaltet sich in der Folge eher unspektakulär, was auch an den langen Strecken liegt. Irgendwann kreuzen wir dann den Polarkreis. Ob Zufall oder nicht, genau am Polarkreis ist es so kalt wie sonst nie auf unserer gesamten Reise. Die Hochebene und der darüber pfeifende Wind lassen uns nur kurz das Polarkreiscenter anschauen und im Anschluss ein schnelles Frühstück im Freien verzehren. Mit dem Wagen als Windschutz, einer Decke über den Beinen und einem heißen Tee lässt es sich dann zumindest aushalten.
Da sich die Fahrtage durch eine gewisse Unspektakulärtheit (was ein schönes Wort) ausgezeichnet haben, belohnt uns Senja. Diese Insel ist der Wahnsinn! Also in jeder Hinsicht. Wahnsinnig schön, die Wanderungen aber auch wahnsinnig anstrengend. Es ist mehr ein Rampensteigen als ein gemütliches Wandern. Wie bereits schon vorher oft festgestellt, ballen sich auf eine kurze Strecke eine nicht unerhebliche Anzahl von Höhenmetern. Aber die Endpunkte sind außerordentlich.
Auf jeder langen Reise haben wir irgendwann einen kleinen Durchhänger. Er ereilt uns am zweiten Morgen auf Senja. Wir haben beide im Zelt nicht gut geschlafen. Als wir das Zelt verlassen, ist es kalt und windig. Keine gute Kombination. Auch das Frühstück kann die Laune nicht wirklich verbessern, aber wir haben uns für den Tag ja etwas vorgenommen und besser wird es auch nicht, wenn wir jetzt am, um und im Zelt rumhängen. Also machen wir uns auf den Weg. Zum Glück.
Denn kurz nach unserer Abfahrt entdeckt Ramona oben über den Bergen einen Helikopter in der Luft stehen. Der ersten Sorge „Oh Gott, ist das die Bergrettung? Ich will nicht wandern…!“ folgt die Aufregung, denn über den Bergkamm bewegt sich zunächst etwas nicht näher Definierbares. Irgendwann ist es dann zu sehen. Ein Herde von Rentieren wird, ganz der moderne Almabtrieb, vom Helikopter vor sich her gescheucht. Die Tiere stürzen regelrecht den Berg hinunter und direkt vor uns über die Straße. Von dort aus dann auf der anderes Seite weiter, beneidenswert schnell, über den nächsten Bergkamm aus unserer Sicht. Was für ein Spektakel! Sofort ist aller Frust vom Morgen vergessen und der Tag ist super.
Mit Tromsø erreichen wir nach Senja den nördlichsten Punkt unserer Reise. Ursprünglich hatten wir vor bis zum Nordkap zu fahren, aber nachdem wir ein wenig recherchiert haben, erscheinen uns die 1600km mehr und der dadurch verbundene Stress auf dem Weg wieder runter in den Süden im Anschluss wenig lohnenswert.
Tromsø an sich bietet uns nicht so wahnsinnig viel. Leider wird uns zum ersten Mal auf der Reise auch ein Stop so richtig verregnet. Vorher hatten wir den Regen maximal auf den langen Autofahrten. Dennoch gefällt uns der kleine Ort und vor allem, was man speziell im Winter alles unternehmen könnte. Wir beschließen, dass wir nicht das letzte Mal in Tromsø waren, sondern irgendwann mal im Winter zurückkehren. Vielleicht ja dann sogar mit einem Abstecher nach Spitzbergen, wer weiß?
Wer in Norwegen ist, will natürlich auch Gletscher sehen. Wir sind da keine Ausnahme. Weiter im Süden gestaltete sich dieses Vorhaben schwierig, da man zu den Gletscherzungen häufig nur mit einem Boot gelangt. Da wir aber recht spät, außerhalb der Reisezeit und „in Zeiten von Corona“ das Land bereisen, haben nahezu alle ihre Wasserfahrzeuge bereits eingemottet.
Durch Zufall finden wir dann doch die Wanderung zum Steindalsbreen. Diese Gletscherzunge ist relativ leicht zu erwandern, aber nicht minder schön. Auf den fünf Stunden durch das Tal stellen wir das erste Mal so richtig fest, dass der Herbst in Norwegen Einzug hält. Die leichten Verfärbungen entlang des Flusses machen die Strecke zu einer der idyllischsten Touren unserer gesamten Reise.
Auch der Gletscher lässt uns nicht im Stich, nicht nur sein Anblick ist spektakulär, auch das Krachen und Knacken im Eis zu hören ist zu tiefst beeindruckend. Achso und auf dem Weg dahin laufen uns wieder Rentiere über den Weg. Diesmal zwar nur drei und ohne Helikopter, aber das macht es wahrlich nicht wenig schön.