Jetzt waren wir aber wirklich lange genug trockenen Fußes und es wird mal wieder Zeit für den Strand. Ohne ist es ja nicht auszuhalten! Wie auch Costa Rica und Panama kann Mexiko mit einer Pazifikküste aufwarten und wir wollen natürlich auskundschaften, welches Land das Ranking gewinnt. Mitten durch die mexikanischen Berge führen uns (vorsichtig formuliert) geschwungene Straßen, ein El Dorado für jeden Motorradfahrer. Immer höher schrauben wir uns und erreichen auf etwa 2500 Metern unsere kleine Hütte. Auf dem Weg passieren wir diverse Stände, an denen hallozinogene Pilze angeboten werden. Ein Trip würde etwa 150 Pesos (ca. 7 Euro) kosten. Erstaunlicherweise wird uns dies von nahezu allen Seiten wärmstens empfohlen. Wir sind jedoch nicht mutig genug, uns wie die Schamanen in anmutige Tiere zu verwandeln. Wer weiß schon, was bei uns herauskommen würde?
Man hätte es sich denken können, aber wir sind doch überrascht, wie kalt es in den Bergen ist. Zwei Mal laufen wir zum Auto, um noch Klamotten nachzulegen. Bisher konnten wir meinen Rucksack mit den warmen Klamotten, Mitbringseln und Campingequipment immer getrost im Kofferraum lassen, aber jetzt müssen wir an unsere Reserven. Glücklicherweise hat unsere kleine Hütte aber auch einen Kamin und so sind wir mit Wärme versorgt. Mit entsprechendem Geruch auch, denn der Abzug scheint nicht so richtig durchdacht gebaut worden zu sein.
So groß die Vorfreude auf das Meer ist, so hart ist der Weg für mich dorthin. Das Frühstück liegt mir quer im Magen und mit grünem Gesicht darf Ramona mich vorsichtig kutschieren. Wir tauschen die kühle, frische Bergluft gegen stickige Schwüle und um den Kontrast angemessen zu verarbeiten, verbringen wir die nächste Zeit vorrangig in waagerechter Position mit möglichst wenig Bewegung am Pool. Nicht besonders spannend, aber die beste Kur.
Unsere Wohlfühlecke am Pool verlassen wir schließlich doch, um dem „Turtle Release Center“ von Vive Mar einen Besuch abzustatten. Dort werden auf einem 30km langen Strandabschnitt jede Nacht die frisch abgelegten Schildkröten-Eier aus ihren Sandnestern geholt und gesammelt. Den vom Aussterben bedrohten Tieren wird hierdurch ein Schutz vor Kojoten, Waschbären, streunenden Hunden und natürlich vor dem Menschen gewährt. Schließlich hat doch sicher jeder schon mal Schildkröteneier zur Steigerung der Potenz gekauft… Es ist wirklich zum Haare raufen, für was Tiere alles herhalten müssen.
Um Geld für das von der Regierung nicht geförderte Projekt zu sammeln, wird Besucher:innen jeden Tag die Möglichkeit gegeben, die an dem Tag geschlüpften Jungtiere in die Welt zu entlassen. In einer Kokosnussschale werden die kleinen, furchtbar niedlichen Schildkröten in die Nähe des Wassers gebracht und so finden jeden Tag 60-80 Schildkröten ihren Weg in die Fluten. Kaum haben sie die Schale verlassen, strampeln und wühlen sie sich zum Meer. Manche haben Glück, erreichen es und werden direkt ins Wasser gespült. Andere werden jedoch mehrfach von den Wellen wieder zurückgeschoben und brauchen einige Anläufe sowie Anfeuerungsrufe, bevor auch sie in den Fluten verschwinden.
Wer Leben rettet, hat sich auch Pausen verdient. Gleich um die Ecke wartet ein traumhafter Strand mit ordentlichen Wellen, so dass ich mir gerne mal wieder das Surfbrett unter die Füße klemmen möchte. Ganz nebenbei lädt die Bucht auch zum Baden ein, Ramona wäre also auch versorgt. Mit frühzeitigem Eintreffen will ich die Wellen ein wenig für mich haben, aber falsch kalkuliert. Den gesamten Tag über tummeln sich 50-60 Surfer:innen auf demselben Spot. Jede Welle wird von mindestens 15 Leuten in Angriff genommen und nur etwa 2-3 schaffen es länger als fünf Meter auf ihr zu bestehen. Der Rest kegelt sich gegenseitig von den Brettern oder springt aus Furcht getroffen zu werden freiwillig ab. Ich würde mich jetzt nicht direkt als Profi bezeichnen und die Gefahr, dass ich dort jemanden verletze, weil ich mein Brett nicht im Griff habe, ist mir dann doch zu hoch. Also schaue ich mir das Spektakel von der Strandliege aus an. Schreckmomente miteingeschlossen, wenn sich die Mutigeren mal wieder gegenseitig über den Haufen fahren.
Vielleicht muss ich mir einfach ein wenig Mut antrinken. Da kommt der Grillabend im Hostel gerade recht. In der Dachbar zaubern die Volunteers ein Grillbuffet, dass ich die beginnende Grillsaison in Deutschland gar nicht mehr so arg vermisse. Wie üblich essen sich schon alle an Baguette und Gemüse satt, bevor überhaupt das Fleisch auf den Tisch kommt. Ich kann jedoch unmöglich zulassen, dass diese armen Tiere ihr Leben um sonst gegeben haben und esse, bis ich quasi die Treppe wieder runter rolle. Grillen ist meine Nemesis, ich kann einfach nicht aufhören zu essen. Zum Glück sind genug Bier und Cuba Libre vorhanden, um auch Leber und Niere ordentlich Beschäftigung zu verschaffen.
Die Zusammensetzung der Grillgemeinschaft ist mal wieder völlig multikulti. Niederländer:innen, Mexikaner, Deutsche, Südafrikaner, Amerikaner:innen und Portugiesen können sich hervorragend auf die gemeinsamen Nenner Alkohol und Essen einigen. Wir sind nun auch schon ein paar Monate unterwegs und durch die vielen Ortswechsel und die geringe Belegung von Hostels beschränken sich unsere sozialen Kontakte doch nicht unerheblich. Einen so gelösten Abend in großer Runde zu verbringen, ist Balsam für die Seele. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht wie Hohn gegenüber allen Covidbeschränkungsbetroffenen, aber vermutlich kann jede:r dieses Gefühl gerade nachvollziehen.
Mein Kopf erinnert mich am nächsten Morgen an noch ein halb vergessenes Gefühl: es scheint, dass ich Alkohol einfach nicht mehr gewöhnt bin. Schon gar nicht fast durchsichtige Cuba Libre-Mischungen. Zum Glück versorgt uns der Mangobaum vor der Haustür mit frischen und katerkonternden Vitaminen und falls das nichts hilft, bietet der Hostel-Kühlschrank statt Coke oder Wasser auch Elektrolyte-Getränke an.
Aber genug geschwelgt, weiter geht es durch Mexiko. Einer erneuter Zwischenstopp in Oaxaca wird mit einem Besuch unserer ersten antiken Ausgrabungsstätte abgerundet. Wir haben recht große Hoffnungen in die alten Bauwerke und werden glücklicherweise nicht enttäuscht. Die Ausmaße der Anlage auf dem Monte Albán sind beeindruckend. Ebenso beeindruckend wie anstrengend sind jedoch die Wege auf die besten Aussichtspunkte. Die Höhe der Treppenstufen stellt schon Ramona vor Herausforderungen, aber neben ihr leiden die Mexikanerinnen, die nahezu alle einen Kopf kleiner sind geradezu Höllenqualen. Da werden selbst 80 Stufen bei 37 Grad im Schatten ohne Schatten zu einer schweißtreibenden Angelegenheit.
Die Nacht hält dann eine Premiere für uns bereit. Wir sind schon nachts geflogen und tagsüber Bus gefahren. 10:50 Stunden Busfahrt über Nacht zählt da zu den neuen Erfahrungen. Zum Glück sind die mexikanischen Busse bedeutend bequemer als die Deutsche Bahn und einen Film später schlafen wir beide ein. Wären da nicht die unzähligen Reduktoren, vor denen der Bus jedes Mal abbremsen muss, wäre das sanfte Geschaukel perfekt. Aber warum sollte es dem armen Busfahrer, der uns alle schlafend durch die Nacht schaukelt, besser gehen als uns in unserem Mietwagen?