Puh, gerade nochmal dem Winter von der Schippe gesprungen. Die Busfahrt nach Oaxaca wird zur Herausforderung, da es sich der Busfahrer anscheinend zur Aufgabe gemacht hat, Covid-Viren in der Klimaanlage festfrieren zu lassen. Ob ihm das gelingt, ist fraglich – uns kribbeln jedenfalls die Finger als wir nach vier Stunden aus der Kühltruhe in die Mittagshitze Oaxacas entlassen werden.
Unsere Wohnung hier ist diesmal deutlich mexikanischer. Küche und Wohnzimmer sind offen und somit jeder Wetterlage nahezu schutzlos ausgeliefert. Na gut, ein Dach haben sie schon und heftige Wetterumschwünge hat man hier auch nicht zu erwarten. Lediglich für den Weg ins Badezimmer bräuchte man im Falle des Falls einen Regenschirm, aber wir meistern eine ganze Woche im Trockenen. Zu Ramonas Leidwesen lädt die offene Gestaltung auch ungebetene Gäste ein und zu den latent nervigen Mücken gesellen sich auf der Terrasse auch ansehnliche Kakerlaken. Mehr als einen Vorteil muss es ja haben, dass wir im August wieder in den vierten Stock zurückkehren.
Oaxaca ist für uns das Sinnbild einer mexikanischen Stadt. Bunte Häuser, geschmückte Straßen, Kirchen an jeder Ecke und am Straßenrand parken Käfer in allen Farben. Obwohl wir jeden Tag durch die Gassen streifen und bald alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert haben, finden wir ständig etwas Neues, was uns begeistert. Seien es Ampeln, die unter Balkonen hängen, Eiswaffeln mit tiefschwarzem Eis und Totenkopf-Schokolade oder überladen dekorierte Geschäfte.
Vor allem der Lebensmitteleinkauf stellt uns in Oaxaca vor die Qual der Wahl: großer, gut sortierter Supermarkt mit unzähligen europäischen Produkten vs. lokaler, wuseliger Markt vs. völlige Kapitulation aka Essen gehen in einem der unzähligen Restaurants und Cafés. Oaxaca ist das Mekka der mexikanischen Küche und an jeder Ecke gibt es Spezialitäten zu unverschämt günstigen Preisen. Wir versuchen den Mittelweg zwischen ein paar klassischen Einkäufen, Obst und Gemüse vom Markt und „kochfreien“ Abenden. Ich liebäugle zwar mit den überall angepriesenen Heuschrecken, aber auf Grund der fehlenden Rezepte müssen sie erstmal warten.
Ist es Zeit für die Nachspeise, so kommt man an Einem nicht vorbei: Mezcal. Der Schnaps ist die mexikanische Antwort auf alle Probleme: egal, ob Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Liebeskummer oder einen Grund zu feiern – Mezcal ist die Lösung! Daher machen wir eine Tour nach Matatlán, der „Welthauptstadt“ des Mezcals. In brütender Hitze erklärt uns unser Guide, wie dort Mezcal noch immer auf traditionelle Art hergestellt wird. Dabei lässt er immer wieder verlauten, dass der von Ramona heißgeliebte Tequila letztlich nur ein gut vermarkteter Billigschnaps ist. Um es mit seinen Worten zu sagen: Tequila ist nur ein Abfallprodukt. Aus Agave gewonnen dauert der gesamte Herstellungs-Prozess des Mezcals mehrere Wochen und ist mit harter körperlicher Arbeit verbunden. Ob das Ergebnis den Aufwand wert ist, dürfen wir durchgeschwitzt und durstig anschließend an zwanzig verschiedenen Sorten überprüfen. Nicht dass wir uns falsch verstehen, wir probieren alle zwanzig Sorten. Nicht nur die, die wir uns aussuchen. Lange Rede kurzer Sinn, die letzten acht schmecken alle gleich.
Um auch den Agave-Pflanzen näher zu kommen, fahren wir noch zum Feld unseres Guides. Trotz mehreren Mezcales intus drückt man uns eine Machete in die Hand und gibt uns den Auftrag, die Spitzen der Pflanzen abzuschlagen. Wir lassen uns nicht lange bitten und starten das Pflanzengemetzel. Ich muss ganz klar sagen: Eine Machete ist was Tolles! Schade, dass die Verwendungszwecke in Deutschland dafür doch arg begrenzt sind. Ausgelaugt geht es für uns als Abschluss der Tour noch ins familieneigene Restaurant und ich komme zu meiner Heuschrecken-Verkostung. Fazit: geschmacklich unauffällig.
Als wir meinen, genug für einen Tag erlebt zu haben, stoppt uns auf dem Rückweg eine Polizeikontrolle. Alle müssen aussteigen. Wirkt merkwürdig und wäre die Situation weltweit eine andere, hätte es uns der Ablauf noch mehr irritiert: eine Person im Ganzkörperschutzanzug sprüht den Innenraum des Wagens mit Desinfektionsmittel ein, wir müssen unsere Hände desinfizieren und die Temperatur wird gemessen. Erst dann dürfen wir weiterfahren. Wenn’s hilft…
Auf der Reise haben wir bisher sehr gute Erfahrungen mit Street-Art-Touren gemacht. Sowohl in Kapstadt als auch Johannesburg haben wir Ecken entdeckt, in denen wir alleine nicht herumgestreunert wären und viel über das „wahre“ Leben in den Städten erzählt bekommen. Nachdem in Costa Rica und auch Panama überwiegend die Natur die Sehenswürdigkeiten gestellt hat, freuen wir uns, dass Oaxaca mehr als nur das Leibeswohl für uns bereithält. Zwar ist die Streetart hier nicht ganz so spektakulär und das Stadtbild wird vorrangig von nur zwei Künstlern geprägt, aber die Erzählungen über die Geschichte und Traditionen der Stadt sind nicht weniger spannend. Beeindruckend ist, dass die Street-Art fast immer Bezug zu Mexiko zeigt und nicht irgendwo in der Welt Wände verzieren könnte: berühmte Filmposter werden mit mexikanischen Künstlern umgestaltet, der „Dia des los Muertos“ wird in allen Facetten gezeigt oder es mogeln sich zumindest eine Agave oder ein Schnapsglas ins Bild.
In Oaxaca gibt es eine Tradition, nach der bei besonderen Anlässen, wie beispielsweise Hochzeiten oder Geburtstagen, mit großen Figuren aus Pappmaché durch die Stadt getanzt wird. Diese „Calendas“ finden in Oaxaca zu Nicht-Covid-Zeiten normalerweise nahezu jeden Tag statt. Wir kommen zufällig an einer Werkstatt vorbei, in der eine Familie diese Figuren herstellt. Sie sind völlig begeistert, wie begeistert wir davon sind. Am Ende werde ich quasi dazu genötigt, eine dieser halbfertigen Figuren auf die Schultern zu heben und es auszuprobieren. Die Vorstellung mit dem Gewicht auf den Schultern in der Hitze durch die Stadt zu tanzen, fordert mir doch einigen Respekt ab. Zumal die Figur, die ich trage, dem 10-jährigen Sohn gehört und bisher nur zur Hälfte geschmückt ist. Ein wenig beruhigt mich da nur, dass üblicherweise im 20 Minuten-Rhythmus gewechselt wird.