Die Yucatán-Halbinsel ist durchlöchert wie ein Niederländischer Käse. Im Stile eines Leerdammers würde ich sagen. Überall finden sich tiefe Löcher in der Ebene. Hier werden sie allerdings Cenoten genannt und sind weniger geschmacklich als visuell ein Highlight. Unser Roadtrip über die Halbinsel beginnt natürlich auch gleich mit einem solchen Cenote. Und nein, es ist kein Tippfehler. Auch wenn es vor allem der Lehrerin an meiner Seite schwer über die Lippen geht: Cenote hat einen männlichen Artikel.
Ganz der deutschen Pünktlichkeit verhaftet stehen wir morgens auf, um den anderen Tourist:innen aus dem Weg zu gehen. Auf den Fotos soll ja die Illusion völliger Ruhe aufrechterhalten werden. Als wir pünktlich vor den Toren stehen, zeigt sich, wir sind die zweiten. Versagt. Ein anderes Paar hat den Weg wohl noch schneller gefunden als wir und betritt letztlich gemeinsam mit uns den Cenote Ik Kil. Über in den Fels geschlagene Treppenstufen steigen wir in das Dunkel hinab. Die letzten Meter legen wir bereits im Wasser zurück, das mir bis zu den Knöcheln und Ramona damit fast bis an die Knie reicht. Es ist glasklar und kleine schwarze Welse tummeln sich darin. Dann öffnet sich der Tunnel und das Licht scheint durch die Öffnung in der Decke hinab in den 18 Meter tiefen und etwa 30 Meter breiten Zylinder. Die 18 Meter beziehen sich wohlgemerkt auf die Distanz Oberfläche zu Wasser. Ab der Wasseroberfläche ist der Cenote nochmal weitere 40 Meter tief. Die Wurzeln von Bäumen hängen hinab und Schwalben jagen Insekten durch die Luft. Also doch keine Illusion nötig.
Ich lasse mich nicht lange bitten und springe mit einem Kopfsprung in das Wasser. Um direkt angeschrien zu werden. Ganz offensichtlich muss man in dem Cenote eine Schwimmweste tragen. Das Vertrauen in die Schwimmkünste der Gäste (und vielleicht auch der Lifeguards) ist offenbar nicht groß genug. Mit ein paar schnellen Zügen bin ich wieder an Land und der „Rettungsschwimmer“ kann aufatmen. Darauf uns extra Rettungswesten zu holen, verzichten wir und als nach etwa einer Stunde die nächsten Menschen eintrudeln, beschließen wir die Welse ihrem Schicksal zu überlassen.
Ein Cenote ist kein Cenote, ist das Motto. Zweiter Tag mit Mietwagen, zweiter Cenote – so will es das Gesetz. Nachdem wir am Nachmittag zuvor von den Autos am Parkplatz abgeschreckt wurden, starten wir einen zweiten Versuch auf den Cenote Oxman. Diesmal reicht es, um neun Uhr dort aufzukreuzen, um pünktlich mit den Mitarbeiter:innen zum Einlass einzutreffen. Und diesmal sind wir wirklich völlig alleine. Mittlerweile haben wir auch herausgefunden, dass Schwimmwesten inzwischen in ganz Yucatán verpflichtend sind und fügen uns unserem Schicksal.
Gefühlt haben wir den Cenote ewig für uns und zu meiner großen Freude hat er ein Seil, an dem man sich ins Wasser schwingen kann. Ich sag mal so, abends habe ich Muskelkater, aber das war es wert. Erst als ich das zweite oder dritte Mal mit lautem Getöse im Wasser lande, wagt sich dann auch mal ein Angestellter nach unten und stellt geradezu verwundert fest, dass ja schon jemand da ist. Für den Rettungsschwimmer ist es aber noch zu früh, er muss erstmal noch die Treppen putzen. Rund zwei Stunden später haben wir uns auf die Liegen an der Oberfläche verlagert, als ein Reisebus nach dem nächsten eintrudelt. Ganz offensichtlich ist man mit der Besichtigung der Mayastätten in der Nähe fertig und sucht nun Abkühlung. Wir beobachten das Schauspiel hingebungsvoll, inklusive der Selfie-Fails, bei denen erst ein Handy auf den Steinfliesen und später ein anderes im Pool landet.
Seit August 2020 haben wir weder Freunde noch Familie getroffen. Ganz Covid-konform quasi. Umso mehr freuen wir uns, dass Sandra für drei Wochen die Yucatán-Halbinsel unsicher gemacht hat und wir es tatsächlich hinbekommen, uns zu treffen. Eigentlich wollten wir uns bereits Anfang des Jahres in Australien sehen, aber Pläne ändern sich momentan schneller als ich Covid sagen kann.
Um Sandra bis zur letzten Minute zu sehen, suchen wir uns einen Strand in Flughafennähe. Dafür kommen bei Cancún leider nur die der Zona Hotelera in Frage. Einen Bereich, den wir alle drei sonst meiden würden wie der Teufel das Weihwasser. Ein riesiges Ressorthotel nach dem nächsten presst sich an die Strandlinie. Tausende von Fenstern und nur die wenigsten mit Balkonen. Was hier los ist, wenn die Amerikaner in der Hauptreisezeit einfallen, können wir uns nicht mal in den kühnsten Albträumen vorstellen. Erfahrene Sparfüchse wie wir sind, finden wir doch einen kostenlosen Strandabschnitt mit Sonnenschutz. Das Meer ist allerdings äußerst aufgewühlt und voller Seegras. Sobald man sich weiter als acht Meter vom Strand entfernt, wird man deutlich mit schrillender Trillerpfeife darauf hingewiesen zurückzukehren. Die Strömung hat es wirklich in sich, auf ein Duell mit ihr würde ich mich nicht einlassen wollen. Auch der schönste Ausflug ist irgendwann vorbei uns wir müssen unsere kleine Portion Heimat zum Flughafen bringen.
Es ist mal wieder soweit, alte Steine stehen auf dem Programm. Wir haben gute Erfahrungen mit dem frühen Aufstehen gemacht und extra ein Hotel gebucht, das über einen eigenen Zugang zu Chichén Itzá verfügt, sodass wir bereits zu Sonnenaufgang an der Mayastätte sein können. Aber wie gesagt, Pläne ändern sich. Beim Check-in erfahren wir: keine Sonderbehandlung. Der Zugang ist geschlossen, Einlass erst mit allen anderen um 8 Uhr. Mehr als ärgerlich. So sind wir diesmal zwar nicht ganz alleine, aber wir überraschen zumindest noch die Verkäufer beim Aufbau ihrer Stände. Nachdem wir uns durch die Souvenirbaustellen geschlängelt haben, eröffnet sich der Blick auf die 30 Meter hohe Pyramide von Chichén Itzá: Kukulcán. Die steilen Treppen erscheinen uns als geeignete Foltermethode für unliebsame Priester. Man zwingt sie einfach mehrfach am Tag Riten abzuhalten und ganz sicher geben sie den Job zeitnah in andere Hände.
Tatsächlich ist der Nutzen der Pyramide bis heute nicht final geklärt. Darüber dass es sich bei der gesamten Anlage, die nebenbei bemerkt zu den sieben neuen Weltwundern gehört, vornehmlich um eine rituelle Begegnungsstelle gehandelt hat, ist man sich einig. Ob jedoch wirklich Menschen den Göttern geopfert wurden, ist noch im Bereich der Vermutungen. Daran ändern auch die recht drastischen Steinhauereien von abgeschlagenen Köpfen am Ballspielplatz nichts. Zwar ergehen sich die Guides der Gruppen um uns herum in blutrünstigen Geschichten über Bestrafungen der Verliererteams, allerdings ist die Wissenschaft von dieser Vorgehensweise nicht restlos überzeugt. Für mich als Werder Bremen Fan erscheint diese Variante der Züchtigung gerade jedoch äußerst attraktiv.
Von Zeit zu Zeit kommt die Zeit, da merken wir, dass wir ein Zuhause brauchen. Also natürlich haben wir ein Zuhause in München, aber uns ist nach einem Ort, an den wir mal für mehrere Tage zurückkehren können. In dem wir kochen und nicht essen gehen, in dem wir auf Sofa, Bett und in diesem Falle im Pool entspannen. Nach Kapstadt vor einigen Monaten ist dies nun das erste Mal wieder der Fall und es tut uns richtig gut. Wir planen die letzten Flüge für die kommenden Monate, organisieren Mietwagen und manchmal machen wir auch gar nichts Sinnvolles. Außer unsere Netflix-Watchlist abzuarbeiten und das ist ja auch nicht gerade wenig zeitintensiv.
Mal wieder sehr beeindruckend! Ein Bad in einem Cenote würde ich auch sofort nehmen. Macht bestimmt einen Riesenspaß. Und wirkt wie eine Filmkulisse….