Als Wochenbeginn reichen uns knapp elf Stunden im Bus nicht aus, daher schnappen wir uns direkt wieder einen Mietwagen und verlassen das wenig attraktive Tuxtla-Gutierrez. Es geht in die Berge, genauer nach San Cristobál de las Casas. Die Strecke dorthin ist ein Test für den eher klein geratenen Chevrolet Beats. Nicht, weil es besonders steil ist, sondern weil es auf der Autobahn stetig, aber sanft bergauf geht. Hier zeigt sich, viel Feuer hat der Wagen nicht. Mit viel gutem Willen schaffen wir die 100 km/h und letztlich auch die Strecke bis in den vermeintlich kleinen Ort San Cristobál. Vermeintlich deshalb, weil Ramona irgendwie der Meinung war, einen kleinen, gediegenen Ort im Tal in der Höhe ausgesucht zu haben. Er klang nach einer Art Geheimtipp und auch die Unterkünfte sind so viel günstiger als in Tuxtla-Gutierrez, sodass wir wirklich etwas anderes erwartet haben. Tatsächlich leben 200.000 Menschen in der Stadt. Gerade für meine Kleinstadt-Begleitung also alles andere als klein.
San Cristobál selbst bietet nicht die ganz großen Highlights, aber die Dichte an schönen Cafés und Restaurants macht den Aufenthalt mehr als erträglich. Insbesondere das Verweilen in der Fußgängerzone ist ein Schauspiel. Ich habe selten so viele Gesichtstattoos gesehen wie hier. Man fragt sich, ob sich ein Tattooshop entsprechend spezialisiert hat oder ob ein geheimer Kult in der Stadt ansässig ist. Auf jeden Fall gehen die Verzierten zumeist einer großen Karriere als Straßenverkäufer von selbstgeknüpften Bändern oder als mieserable Straßensänger nach. Die Zukunft scheint hell in die, durch Tinte verdunkelten Gesichter.
Einmal verlassen wir doch unseren liebsten Aussichtsplatz im Café, um nach Chamula zu fahren. Das Dorf (das den Namen wirklich verdient) liegt in einer Art autonomen Gebiet. Seit einer Revolution 1994 verwalten sich der Ort sowie einige Dörfer im Umkreis selbst. Nach unserem Besuch dort müssen wir sagen, dass dies so mittelgut funktioniert. Selbstverwaltung schließt ganz offensichtlich eine zuverlässige Müllabfuhr aus. Dies macht die wenigstens Städte attraktiver – Neapel kann sicher ein Lied davon singen.
Das Highlight des Ortes ist die Kirche, die gleichzeitig auch seinen Mittelpunkt darstellt. Hier vermischt sich der ursprüngliche Glaube mit dem, von den Spaniern freundlicherweise mitgebrachten, Katholizismus. Wobei jeder Pfarrer einen Herzinfarkt bekommen würde, wenn er die Kirche betritt. Ich muss sagen, dass ich selten etwas Schöneres gesehen habe. Von außen wirkt alles wie üblich. Großer Vorplatz? Check. Kirchturm? Check. Riesiges Eingangstor? Check. Glocken? Check.
Sobald man aber die Schwelle überschreitet und den Innenraum betritt, ist man erstmal sprachlos. Tausende von Kerzen tauchen die Kirche in ein wunderschönes Licht und vermitteln eine unbeschreibliche Stimmung.
In der Kirche gibt es keine Bänke, sondern der Boden ist mit Reisig ausgelegt. Auch einen klassischen Altar, eine Orgel oder einen zur Ruhe mahnenden Meßner sucht man vergeblich. An den Wänden rund um den Innenraum stehen unzählige große und kleine Vitrinen, die Heiligenfiguren beinhalten. Vor ihnen sind Tische aufgebaut, auf denen die Gläubigen ihre mitgebrachten Kerzen einfach mit Wachs auf dem Holz befestigen. Es zeichnet sich ab, einige Heilige sind beliebter als andere. Zudem sitzen die Menschen auf dem Boden der Kirche, haben auch dort vor sich Kerzen aufgestellt und beten. Das passiert zum Teil leise und andächtig, zum Teil eher lauter. Grund hierfür könnte sein, dass es zur Tradition gehört, in der Kirche selbstgebrannten Zuckerrohr-Schnaps zu trinken. Außerdem jede Menge Coca-Cola, denn durch Rülpsen entlassen der Schamane oder die Schamanin die bösen Geister.
Neben dem Rülpsen werden auch Eier in die Flammen der Kerzen gehalten und im Anschluss über den Körper geführt. So vertreibt der Rauch, der sich kurzzeitig in der Schale der Eier hält, die Krankheitsgeister und heilt. Daran scheinen die Bewohner:innen definitv auch festzuhalten, denn die Maske zum Schutz vor Covid hat in Chamula noch nicht Einzug gefunden. Im Nachhinein lesen wir, dass oft auch Hühner rituell in der Kirche geschlachtet werden. Ich glaube, da hätte ein Pfarrer in Deutschland nur so semiviel Verständnis für.
Nochmal zurück zur Cola: Offensichtlich wird dieses international verbreitete Kaltgetränk hier nicht nur in der Kirche getrunken. Chamula ist weltweit der Ort mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Coca-Cola. 2,5 Liter täglich. Ich habe an manchen Tagen Probleme, so viel Wasser zu mir zu nehmen.
Nach einem „Arbeitstag“, den wir nahezu komplett im Café und damit im schnellen WiFi verbringen, steht unser Flug nach Cancún an. Wir haben nahezu nichts Positives über Cancún gehört: hässliche Stadt, nur große Hotelresorts und Pauschaltourismus in Hochform. Ich meine, eine eigene Halbinsel mit dem Namen „Zona Hotelera“? Dafür muss man kein Spanisch sprechen, oder?
Wir ziehen folglich schnellstmöglich weiter. Auf der Isla Mujeres lässt es sich in einem Apartment mit Meerblick verflucht gut aushalten. Ein Sandstrand wird uns nicht geboten, aber ein kleines Riff, in dem wir uns die recht dünn besiedelte Unterwasserwelt erschnorcheln können. Trotzdem machen wir ein paar tolle Beobachtungen. Mal sind es Thunfische, wenn auch Jungtiere und nicht die ausgewachsenen, bis zu 4,50m langen tierischen Torpedos. Ein anderes Mal können wir mit einem, etwa zwei Meter langen Stachelrochen schwimmen. Wie andächtig und elegant das Tier durch das Wasser schwebt und mit der kleinsten Bewegung plötzlich aus unserem Blickfeld verschwindet, ist beeindruckend.
Leider schlägt das Wetter um und wir müssen mehr Gebrauch von unserer Terrasse machen als geplant. Tropische Regenfälle haben es in sich. Der einzige Vorteil ist, dass sie die Temperatur nur geringfügig nach unten korrigieren, was es fast ein wenig angenehmer macht. Aber eben auch deutlich nasser.
Zurück in Cancún übernehmen wir den nächsten und letzten Mietwagen in Mexiko. Diesmal ist die Übernahme mit deutlich mehr Diskussionen verbunden. Der Pauschaltourismus der US-Amerikaner macht sich hier bemerkbar. Uns wird versucht, jede Versicherung, jeden Unfallschutz und jede erdenkliche sonstige Absicherung aufzuquatschen. Außerdem natürlich die Möglichkeit, das Bonustankprogramm zu nutzen. Aber irgendwann hat man auch das überstanden und ist der Vertreterfalle entgangen. Es bleibt dabei, vertraue keinem Mietwagenbetreiber, alles Betrüger. Außer Africamper, die sind super (Achtung Schleichwerbung!).