Schüchtern soll er sein. Sich nicht gern unverhüllt zeigen. Rau und unnahbar, den Kopf ständig in den Wolken: der Kilimanjaro. Wir erleben das Bergmassiv mit dem höchsten Gipfel Afrikas ganz anders. Für mehrere Tage halten wir uns in seinem Dunstkreis auf und werden immer wieder mit fantastischen Blicken auf seine drei Gipfel versorgt. Mit knapp 6000 Metern ist es nicht so hoch wie viele seiner Artgenossen, aber wie aus dem Nichts erhebt es sich kegelförmig 4000 Meter aus der Umgebung. Ähnlich wie die Spitzkoppe in Namibia oder der Uluru in Australien und doch ein klein wenig höher, unwirtlicher, schneebedeckter. Eine Besteigung kommt dieses Mal noch nicht in Frage, weder Zeit und Budget noch Fitnesslevel und Ausrüstung geben das gerade her. Um sich nicht in eine Perlenkette voller Wanderer einreihen zu müssen, wäre es eigentlich gerade die richtige Zeit. Aber für uns bleibt das erstmal auf der Abenteuer-Bucketlist. Vielleicht wird es vorher auch erstmal sein Gegenüber, der Mount Meru. „Nur“ 1000 Meter kleiner soll er einen einzigartigen Ausblick auf den Kili bieten. Wer schon mal in New York war und vom Rockefeller Center auf das Empire State Building geschaut hat, der wird verstehen, dass es manchmal schöner ist, auf etwas zu schauen anstatt es selbst zu erklimmen.
Die West Usambara Mountains sollen es auch uns ermöglichen, in Tansania die Beine zu bewegen. Bereits die Anfahrt zu unserem Campingplatz gestaltet sich spannend. Eine immer enger werdende Bergstraße, zu Beginn noch geteert, dann Schotter, schlängelt sich durch die Täler weiter in die Höhe. Ramona wird nicht müde zu betonen, wie froh sie ist, dabei nicht mehr im kleinen, wackligen Jimny zu sitzen. Und so taucht die größte Gefahr immer wieder im Rückspiegel auf: Reisebusse rasen die Piste hinauf, um ihre Passagiere in die höheren Lagen zu transportieren. Dabei verlässt man sich ganz offensichtlich auf das Recht des Stärkeren. Jetzt sind wir mit unserem Landcruiser auch nicht gerade schlecht ausgestattet, aber ein echtes Duell versuche ich zu vermeiden. Das sorgt bei steilen Abhängen nicht selten für kleinere Schreckmomente auf Ramonas Seite, denn irgendwie schafft sie es immer bei wechselnden Fahrtrichtungen auf der Seite des Abhangs zu sitzen. Für die spannende Abfahrt werden wir letztlich üppig belohnt. Die Usambaras fallen norwegenesk steil in das Tal ab und ermöglichen einen gigantischen Ausblick.
Wir wollen unbedingt den Shagayu-Forest erkunden und ziehen das erste Mal zum Wandern mit einem Guide los. Auf dem Weg durch den Urwald und auf kaum erkennbaren Pfaden schlagen wir uns durch die Wildnis. Teilweise ist der Weg überwuchert, aber Rogers kennt den Wald wie seine Westentasche. Viel spannender als der angekündigte Wasserfall sind die Pflanzen, die ortsansässige Heiler gegen unterschiedlichste Beschwerden zu Hilfe nehmen, und das Zelt des Heilers im Wald, an dem er Opferungen durchführen kann. Und wir entdecken Chamäleons! Na gut, selbst finden wir sie nicht. Rogers weist uns auf sie hin, indem er einfach so im Vorbeigehen auf einen Ast zeigt. Kein normaler Mensch könnte diese doch recht gut getarnten Reptilien in den Bäumen erkennen. Bei der Farbgestaltung und Größe der Colobus Monkeys sind wir dagegen auch wieder mit im Spiel.
Kaum verlassen wir das Dickicht schallt uns bereits ein vielstimmiges „MUZUNGU HIIIII!“ entgegen. Die Kinder in den Dörfern haben uns entdeckt und ganz offenbar scheinen wir das Highlight des Tages zu sein. Wir werden aus jeder Ecke angestrahlt und die Ekstase kennt keine Grenzen als wir winkend mit „Jambo!“ (Hi auf Kisuaheli) antworten. Von den Rufen angelockt scheinen die Kinder an den Weg zu strömen und an jeder Ecke, um die wir biegen, wartet bereits eine Horde. Zum Teil außerordentlich mutig direkt am Pfad, zum Teil versteckt hinter den Hecken. Richtig zurückhalten können sie sich aber nicht und so begleitet uns zwei Stunden lang Kinderlachen. Ramona schmilzt geradezu dahin und auch ich stelle fest, dass Kinder nicht tot zu kriegen sind. Es ist auch noch nach dem zwölften Mal hin und her zum Auf-den-Boden-Werfen lustig. Schön, dass zwei Kalkleisten für so viel Freude sorgen.
In der dorfeigenen Töpferei wird für uns die komplette Produktpalette aufgebaut. Ich ergattere eine Tontasse und schäme mich fast dafür, dass ich lediglich 1,10 € für sie bezahle. Das Konzept „Touristenpreise“ (ägyptisch auch Bakshish genannt…) ist dort noch nicht angekommen. Auf der einen Seite eine sehr positive Erfahrung für uns, auf der anderen Seite würde ein wenig mehr finanzielle Unterstützung dort nicht schaden.
Da die Usambara Mountains zu unserem großen Leidwesen das Ende unserer Zeit in Tansania darstellen, müssen wir uns sukzessive auf den Rückweg nach Arusha machen und uns den Süden für die nächste Reise aufheben. Wir sind viel zu kurz in diesem wunderschönen Land gewesen, aber die hohen Kosten für den Mietwagen und die exorbitanten Eintrittspreise der Nationalparks lassen einen längeren Aufenthalt nicht zu. Mit einem eigenen Auto wäre das allerdings eine andere Rechnung…
Nach dem obligatorischen Weiterreise-Covid-Test steht die letzte Fahrstrecke auf dem Programm. Ich kann nicht verneinen, dass ich froh bin, wenn ich nicht mehr Kilometer für Kilometer mit einem Auge am Tacho fahren muss. Die Laser-Politik der tansanischen Polizei ist provisionsbasiert und so stehen sie mit der Laserpistole im Anschlag in jeder Senke, hinter jedem größeren Baum und in Ortschaften sowieso. Jedoch hat unser Mietwagen eh andere Pläne. Er stellt sich völlig tot. Aber zum Glück ist, wie in Afrika üblich, eine Autowerkstatt nicht weit entfernt und eine WhatsApp später kündigt man uns einen Mechaniker an. Ebenfalls wie in Afrika üblich kommt nicht einer, sondern vier Mechaniker. Bewaffnet mit vier Schraubenschlüsseln macht man sich an die Arbeit. Wobei eigentlich nur einer arbeitet und drei weitere mittelhilfreiche Tipps geben. Dennoch ist die Laune wunderbar und letztlich bringt ein fünfter Schraubenschlüssel, der von einem weiteren Mechaniker mit dem Motorrad geliefert wird, die (Er-)Lösung und wir können unsere Fahrt fortsetzen.
Den krönenden Abschluss stellen Barry & Julie und Peter & Caroline dar. Bereits zu Beginn der Reise haben sie uns direkt in ihre Mitte aufgenommen und wir freuen uns, die vier wiederzusehen. Am Lagerfeuer werden bei Wein, Bier und Spaghetti die großen Themen der Welt besprochen. Von Afrika, Reisen, Afrikareisen, Pickups, Musik bis hin zum Leben im Allgemeinen wird nahezu nichts ausgelassen.
Die Ablenkung tut uns auch deswegen gut, da sich unsere Testergebnisse deutlich mehr Zeit lassen als gewohnt. Während wir das Auto ausräumen, die Ausbauten der anderen beiden bewundern und Sachen packen, laufen wir wie auf Kohlen. Mein Ergebnis trudelt erst nach 50 Stunden ein und von Ramonas ist nichts in Sicht. Ich versuche über Telefon, Mail und Telegram Kontakt zum Testcenter zu bekommen. Alle drei Möglichkeiten sind auf meinem offiziellen Ergebnis abgedruckt, aber keine funktioniert: Telefonnummer nicht vergeben, Mail-Adresse falsch und Telegram-Kanal nicht auffindbar. Plan B ist das Krankenhaus, aber die Telefonnummer auf der Website ist nicht vergeben. Auf einer Unterseite findet Ramona schließlich eine Handynummer, wie sich später herausstellt: die Nummer des ehemaligen Chefs. Er kann uns aber mit der privaten Nummer des jetzigen Chefs weiterhelfen, der nur nach Ramonas Passnummer fragt. Er hat anscheinend eine kürzere Leitung zum Labor, denn wenige Minuten später kommt auch ihr Testergebnis. Hakuna Matata.